Streit im Bundestag
Vernichtung der Armenier oder Völkermord?
- Veröffentlicht: 19.04.2015
- 17:16 Uhr
- dpa
Der Papst spricht vom "ersten Völkermord des 20. Jahrhunderts", das Europaparlament tut es und mit ihm viele andere Parlamente. Bundesregierung und Bundestag streiten, wenn es um die Bewertung der Vertreibung und Vernichtung der Armenier im Osmanischen Reich geht.
Vor der Bundestagsdebatte zum 100. Jahrestag der Verbrechen an den Armeniern im Osmanischen Reich mehren sich die Stimmen in der Union, die Massaker als Völkermord zu brandmarken. Im Entwurf der Bundesregierung für die Gedenkstunde am Donnerstag ist zwar von "Vernichtung der Armenier" die Rede, der Begriff "Völkermord" wird aber - offensichtlich mit Rücksicht auf das Verhältnis zur Türkei - nicht verwendet. Nach Schätzungen kamen bei der Vertreibung der Armenier im Ersten Weltkrieg bis zu 1,5 Millionen Menschen ums Leben.
"Der Tod Hunderttausender Armenier in der Endphase des Osmanischen Reiches war weder Unfall noch Zufall, sondern Völkermord", sagte CDU-Vize Julia Klöckner der "Welt am Sonntag". "Auch wenn es diplomatisch unklug sein mag und wir in Deutschland aufgrund unserer Geschichte anderen nicht überheblich ihre Geschichte vorhalten sollten, können wir dennoch das Kind beim Namen nennen."
Völkermord: Ja oder nein?
Der Armenien-Berichterstatter der Unionsfraktion, Christoph Bergner (CDU), kündigte an, er werde am Dienstag in der Fraktion dafür eintreten, "dass der Begriff Völkermord in den Antrag aufgenommen wird". Zwar verstehe er es, wenn Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) "um angemessene Formulierungen" ringe. Aber "die Beweise, dass es sich um einen Genozid handelt, liegen in den Archiven des Auswärtigen Amts". Das Osmanische Reich und das Deutsche Kaiserreich waren im Ersten Weltkrieg Bündnispartner.
Auch führende Vertreter von Grünen und Linken forderten die schwarz-rote Koalition auf, die Massaker klar als "Völkermord" zu benennen. «Die Bundesregierung ist mit ihrer Haltung unglaubwürdig und knickt vor der Türkei ein», sagte der Grünen-Fraktionsvorsitzende Anton Hofreiter der Deutschen Presse-Agentur.
Grünen-Chef Cem Özdemir sagte der "Welt am Sonntag": "Die CDU/CSU muss sich gut überlegen, auf welcher Seite sie in dieser historischen Debatte steht. Ich glaube nicht, dass die Partei Konrad Adenauers und Helmut Kohls an die Seite von Völkermordleugnern gehört."
Der Linken-Vorsitzende Bernd Riexinger verlangte von der Bundesregierung, die "systematisch geplante und organisierte Vernichtung der armenischen Bevölkerung als Völkermord nach der UN-Konvention" anzuerkennen.
Klare Worte vom Papst
Bundespräsident Joachim Gauck spricht am Donnerstag bei einer Gedenkveranstaltung der Kirchen im Berliner Dom. "Ich würde mir wünschen, dass der Bundespräsident sich deutlicher äußert", sagte Grünen-Fraktionschef Hofreiter. "Ich mag ihm aber keine Vorschriften machen."
Vor wenigen Tagen hatte Papst Franziskus die Ermordung der Armenier vor 100 Jahren als "ersten Völkermord im 20. Jahrhundert" bezeichnet und damit harsche Kritik der Türkei auf sich gezogen. Außenminister Steinmeier hatte den Standpunkt vertreten: "Die Gräuel der Vergangenheit lassen sich nicht auf einen Begriff oder den Streit um einen Begriff reduzieren." Er selbst sprach nicht von Völkermord, aber von "Massakern" und "Gräueln am armenischen Volk".