Martin Auerswald im Interview
Achtung bei Nahrungs-Ergänzungsmitteln: Das solltest du bei der Einnahme unbedingt beachten
- Aktualisiert: 07.03.2024
- 12:10 Uhr
- (eee/spot)
Nahrungsergänzungsmittel ersetzen keine ausgewogene Ernährung, können aber Nährstoffdefizite ausgleichen. Nicht jeder benötigt zusätzliche Vitamine und Mineralstoffe, jedoch können bestimmte Risikogruppen von ihnen profitieren. Biochemiker und Ernährungsberater Martin Auerswald spricht im Interview über die Vor- und Nachteile von Nahrungsergänzungsmitteln.
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Nahrungsergänzungsmittel: Das sagen Expert:innen
Ob online, in der Drogerie oder in der Apotheke: Nahezu überall sind inzwischen Nahrungsergänzungsmittel zu finden. Der Griff zu den allseits bekannten Kapseln ist schnell gemacht und auch im Netz schwärmen viele von der angeblich wundersamen Wirkung. Doch während die einen gar nicht mehr ohne können, treffen die oft teuren Präparate auch auf Skeptiker:innen.
Die Meinungen unter Ernährungsspezialist:innen sind geteilt, wenn es um das Thema Nahrungsergänzung geht. Es gibt Befürworter:innen und Gegner:innen in der Fachgemeinschaft. Allerdings herrscht unter den Expert:innen Einigkeit darüber, dass es in der Bevölkerung einen weit verbreiteten Mangel an Vitamin D und Jod gibt, der durch Nahrungsergänzungsmittel ausgeglichen werden sollte. Einig sind sich die Fachleute auch bei der Empfehlung einer erhöhten Folsäurezufuhr für Schwangere zur Vorbeugung von Neuralrohrdefekten (Fehlbildungen des zentralen Nervensystems beim Ungeborenen).
Martin Auerswald, Biochemiker, Ernährungsberater und Autor hat sich dem umstrittenen Thema angenommen und klärt im Interview mit einer Nachrichtenagentur über die Pros und Contras in Sachen Nahrungsergänzungsmittel auf.
Deshalb sollten wir auf Nahrungsergänzungsmittel setzen
1. Gesunde Ernährung reicht nicht
Viele Menschen leiden unter einem Mangel an bestimmten Nährstoffen aufgrund ihrer Ernährungsgewohnheiten oder individuellen Bedürfnisse. Nahrungsergänzungsmittel bieten eine bequeme Möglichkeit, diese Defizite auszugleichen und den Körper mit den notwendigen Nährstoffen zu versorgen.
Martin Auerswald:
"Großangelegte Studien, wie die Nationale Verzehrstudie II sowie die Praxis zeigen, dass jeder Mensch Nährstoffdefizite aufweist. Über die Ernährung kann theoretisch der Nährstoffbedarf zu 100 Prozent gedeckt werden. In der Praxis ist dies jedoch schwierig, da sich unser Lebensstil, unsere Ernährung und unsere Lebensmittel heute grundlegend von denen unserer Vorfahren vor 100, 1.000 oder 100.000 Jahren unterscheidet."
In diesem Clip: Welche Nahrungsergänzungsmittel brauche ich wirklich?
Mareikes Tipp: Braucht man wirklich Nahrungsergänzungsmittel?
2. Gezielt die Gesundheit beeinflussen
Nahrungsergänzungsmittel werden gezielt eingesetzt, um bestimmte Gesundheitsziele zu unterstützen, wie zum Beispiel die Unterstützung des Immunsystems, die Verbesserung der Herzgesundheit oder die Förderung der Knochengesundheit.
Martin Auerswald:
"Nahrungsergänzungen geben uns die Möglichkeit, zusätzlich zu Ernährung und Lebensführung positiv unsere Gesundheit und unser Wohlbefinden zu beeinflussen. Neben dem Ausgleichen von Nährstoffdefiziten können verschiedene Naturheilmittel wie zum Beispiel Curcumin, OPC oder die Heilpilze Reishi und Löwenmähne genutzt werden, um dem Körper bestimmte Informationen und Reize zu geben und damit die Gesundheit zu fördern".
3. Jeder Körper ist einzigartig und hat individuelle Bedürfnisse
Menschen mit speziellen Ernährungsbedürfnissen wie Vegetarier:innen, Veganer:innen oder Personen mit Nahrungsmittel-Unverträglichkeiten können mit Nahrungs-Ergänzungsmitteln sicherstellen, dass sie alle benötigten Nährstoffe erhalten.
Martin Auerswald:
"Je nach Genetik und Lebensführung hat unser Körper individuelle Bedürfnisse, die zu unserem Nährstoffbedarf beitragen. So erhöhen die Einnahme von Medikamenten, Stress, Vorerkrankungen, Schlafmangel, häufige Flugreisen, Übergewicht oder Leistungssport den Verbrauch von Nährstoffen im Körper - und damit auch den Bedarf".
Das spricht gegen Nahrungsergänzungsmittel
1. Kein Ersatz für ausgewogene Ernährung
Nahrungsergänzungsmittel sollten nicht als Ersatz für eine gesunde und ausgewogene Ernährung betrachtet werden. Es ist wichtig, weiterhin frische Lebensmittel zu verzehren, die dem Körper eine Vielzahl von Nährstoffen liefern.
Martin Auerswald:
"Viele Menschen sehen Nahrungsergänzungen leider als Möglichkeit, das Gewissen zu beruhigen und von ungesunden Gewohnheiten wie häufiges Rauchen, Alkohol oder Fast Food abzulenken. Sie dienen hier sozusagen als Ersatz für eine gesunde Ernährung und Lebensführung - sollten dies aber nicht."
2. Gefahr der fehlenden Regulierung
Die Nahrungs-Ergänzungsmittel-Industrie ist weniger strengen Regulierungen unterworfen als die Arzneimittel-Industrie. Dadurch besteht das Risiko, dass Produkte nicht die angegebenen Inhaltsstoffe enthalten oder Verunreinigungen aufweisen.
Martin Auerswald:
"Der Markt für Nahrungsergänzungsmittel ist in Deutschland leider nur sehr locker reguliert. Die Zulassung neuer Präparate ist verhältnismäßig leicht und die Kontrollen sind zu wenig, um qualitativ minderwertige Produkte zu erkennen und aus dem Verkehr zu ziehen. So kann ein Hersteller fragwürdiger Produkte mit gutem Marketing schnell viel Geld verdienen und die Gesundheit der Verbraucher:innen gefährden. Hier ist eine bessere Regulierung und Aufklärung über Qualitätsprodukte wichtig".
3. Gefahr der fehlenden Aufklärung und Überdosierung
In einigen Fällen kann die Einnahme von Nahrungsergänzungsmitteln zu einer Überdosierung bestimmter Nährstoffe führen, was negative gesundheitliche Auswirkungen haben kann. Einige Vitamine und Mineralstoffe können bei hohen Dosen toxisch sein.
Martin Auerswald:
"Wird nur unzureichend über Nahrungsergänzungen, ihr Nutzen, Qualität und Einsatz aufgeklärt, besteht die Gefahr, dass sie nicht korrekt eingesetzt werden. Genau wie Sport oder eine gesunde Ernährung kann man Nahrungsergänzungen 'richtig' und 'falsch' machen - eine flächendeckende Aufklärung und Schulung von Gesundheitspersonal könnte hier eine nachhaltige Lösung sein."
4. Fehlende Langzeitstudien
Für viele Nahrungsergänzungsmittel fehlen Langzeitstudien, um ihre langfristigen Auswirkungen auf die Gesundheit zu bewerten. Es ist daher unklar, ob ihre langfristige Einnahme tatsächlich vorteilhaft oder schädlich sein kann.
Nahrungsergänzungs-Mittel für Risikogruppen
Nahrungsergänzungsmittel werden üblicherweise für spezifische Risikogruppen empfohlen. Patient:innen mit Erkrankungen wie COPD (dauerhaft atemwegsverengende Lungenerkrankung), Adipositas oder Krebs zeigen einen erhöhten Bedarf an Mikro-Nährstoffen wie Vitamin D, Vitamin B12, Folsäure sowie den Mineralstoffen Magnesium, Eisen, Kupfer und Zink. Besonders bei COPD-Patient:innen ist der Bedarf an wasserlöslichen Vitaminen erhöht. Bei chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen und Kurzdarm-Patient:innen ist die Mikronährstoffaufnahme beeinträchtigt, was ebenfalls zu einem Mehrbedarf führt.
Für Frauen mit Kinderwunsch empfehlen Expert:innen anstelle der üblichen Folsäuregabe Multivitamin-Präparate. Denn neben Folsäure sind weitere Nährstoffe für die fötale Entwicklung wichtig. Eine Studie zeigte eine Reduktion der Zahl von Kindern mit niedrigem Geburtsgewicht nach der Einnahme von Multivitamin-Präparaten im Vergleich zu einem Placebo oder Nahrungsergänzungsmitteln, die nur Folsäure und Eisen enthielten.
Die Wirkung von Multivitamin-Präparaten während der Schwangerschaft erstreckt sich nicht nur auf die Entwicklung während der ersten 1.000 prägenden Tage nach der Empfängnis, sondern ist auch im Schulkind-Alter nachweisbar. In der SUMMIT-Studie untersuchte ein internationales Forscherteam den Einfluss der Multivitamin-Supplementierung während der Schwangerschaft auf die Entwicklung von Kindern.
Bei dieser Untersuchung erhielten Schwangere entweder ein Multivitamin-Präparat oder ein Präparat aus Folsäure und Eisen. Die Kinder von Müttern, die während der Schwangerschaft eine Kombination verschiedener Nährstoffe einnahmen, zeigten im Vergleich zu denen, die nur Folsäure und Eisen erhielten, ein deutlich verbessertes Gedächtnis. Sie erzielten in 18 von 21 Tests zur Beurteilung der kognitiven Fähigkeiten höhere Punktzahlen. Die Wissenschaftler:innen schätzten, dass dies einem Entwicklungsvorsprung der Kinder von etwa einem halben Schuljahr entspräche.
Vegetarier:innen, Veganer:innen und Menschen, die Trend-Diäten verfolgen, sind anfällig für Nährstoffmängel aufgrund beeinträchtigter Ernährung. Senior:innen haben ebenfalls ein erhöhtes Risiko für Nährstoffmängel, da sie häufig von Mangelernährung betroffen sind - insbesondere bei den Vitaminen A, B und D. Der Vitamin-D-Mangel bei Senior:innen wird auch durch die geringere Synthese von Vitamin D in der Haut im Alter verstärkt.
Unabhängig davon, ob du zur Risikogruppe gehörst oder nicht - bevor du Nahrungsergänzungsmittel einnimmst, wende dich an medizinisches Fachpersonal, um sicherzustellen, dass sie für deine individuellen Bedürfnisse geeignet sind.